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Gewählte Publikation:

Haberl, S.
Das biopsychosoziale Modell in Bezug auf Essstörungen
Humanmedizin; [ Diplomarbeit ] Medizinische Universitaet Graz; 2021. pp. 92 [OPEN ACCESS]
FullText

 

Autor*innen der Med Uni Graz:
Betreuer*innen:
Baranyi Andreas
Rothenhäusler Hans-Bernd
Altmetrics:

Abstract:
Die Entstehung und Aufrechterhaltung von Essstörungen werden von vielen unterschiedlichen biopsychosozialen Faktoren beeinflusst. In der vorliegenden Arbeit wird der Einfluss dieser Faktoren unter Anwendung des biopsychosozialen Modells auf die Entstehung und Aufrechterhaltung der Anorexia Nervosa, der Bulimia Nervosa und der Binge-Eating-Störung näher beleuchtet. Im Rahmen der biologischen Einflussfaktoren deuten Zwillingsstudien auf eine genetische Komponente in der Entwicklung einer Essstörung hin. Neuroendokrinologisch zeigen sich bei Personen mit Anorexia Nervosa in einigen Studien eine Dysregulation der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse und eine verminderte Artenvielfalt des Darmmikrobioms im Vergleich zu gesunden Personen. Veränderte kognitive Prozesse, vor allem die Aufmerksamkeitslenkung, spielen bei Personen mit Essstörungen eine Rolle. Es zeigt sich einerseits ein Aufmerksamkeitsbias in Richtung nahrungsbezogener Reize, andererseits kommt es nach der Fokussierung auf Nahrungsreize zu einem Vermeidungsverhalten und der Weglenkung der Aufmerksamkeit von negativ besetzten Reizen. Hinsichtlich der Persönlichkeitsaspekte weisen Personen mit Anorexia Nervosa eher Eigenschaften wie Perfektionismus und Neurotizismus auf. Impulsivität wird eher bei Personen mit Bulimia Nervosa beobachtet. Soziale Faktoren, wie negative Lebenserfahrungen in der Kindheit und unsichere Eltern-Kind-Bindungen, können Risikofaktoren für die Entstehung einer Essstörung darstellen. Über soziale Medien kann die Vermittlung des Schlankheitsideals durch den Vergleich mit dem eigenen Körper zur Körperunzufriedenheit führen. Im Zusammenspiel von biopsychosozialen Faktoren können prämorbide Vulnerabilitäten, belastende Lebensereignisse und medienvermittelte Körperideale zu einem Beginn oder einer Verstärkung von pathologischen Verhaltensweisen, wie zum Beispiel die Vermeidung der Gewichtszunahme, führen. Erweist sich das Verhalten als belohnend (z.B. durch positives Feedback), kommt es zu einer erhöhten dopaminergen Aktivität und die Tendenz, das Verhalten beizubehalten, steigt. Vor der Entwicklung einer Essstörungssymptomatik steht häufig ein Diätverhalten, welches in weiterer Folge zu einer abnormen Nahrungskarenz führen kann und in Kombination mit der Persönlichkeitseigenschaft Perfektionismus, kognitiver Inflexibilität und/oder Körperunzufriedenheit zu einer Essstörung führen bzw. diese aufrechterhalten kann. Es kann vermutet werden, dass genetische Vulnerabilitäten erst gemeinsam mit Umwelteinflüssen (z.B. Medien, familiäre Faktoren) zu einer Veränderung von kognitiven Prozessen und in weiterer Folge zu veränderten Verhaltensweisen (z.B. Hungern) führen. Parallel dazu werden biologische Faktoren auch durch das Verhalten beeinflusst und wirken wiederum auf die Kognition und das Verhalten ein. Besonders die Pubertät stellt eine vulnerable Phase, aufgrund von hormonellen, körperlichen und metabolischen Veränderungen, für die Entwicklung einer Essstörung dar. Das biopsychosoziale Modell besitzt durch die Vereinigung der drei genannten Faktoren (biologisch, psychisch und psychosozial) in Bezug auf Essstörungen eine gute Anwendbarkeit. Ein besseres Verständnis der Ätiopathogenese von Essstörungen kann so erreicht werden und könnte in Zukunft auch zu einer Verbesserung von Therapiemöglichkeiten bei Essstörungen beitragen.

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