Gewählte Publikation:
Reisinger,M.
Delirogenes Potenzial pharmakologischer Substanzen.
Ein systematischer Review
Humanmedizin; [Diplomarbeit] Medizinische Universität Graz;2019. pp. 143
[OPEN ACCESS]
FullText
- Autor*innen der Med Uni Graz:
- Betreuer*innen:
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Reininghaus Bernd
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Reininghaus Eva
- Altmetrics:
- Abstract:
- Einleitung: Das Arzneimittel-induzierte Delir stellt eine potenziell verhinderbare Form akuter Verwirrtheitszustände mit einem schlechten Outcome dar. Die wissenschaftliche Evidenz der als delirogen beschriebenen Arzneimittel ist allerdings unklar. Ziel der Arbeit ist es, die Evidenz delirogener Medikamente zu ermitteln sowie einen aktuellen Review upzudaten, damit ein Vergleich mit der Studienlage ermöglicht wird.
Methodik: Ein systematischer Review nach den Empfehlungen des Cochrane-Handbuchs sowie der PRISMA-Leitlinien wurde durchgeführt. Die Suche in medizinischen Daten-banken (MEDLINE, EMBASE und EBM-Reviews) sowie auf Google Scholar inkludiert Studien, die im Zeitraum von 2009 bis 2019 publiziert wurden. Exkludiert wurden Fall-berichte sowie Studienpopulationen unter 18 Jahren. Die inkludierten Studien wurden einem Qualitäts-Assessment mittels Newcastle-Ottawa-Scale unterzogen und die Evidenzqualität der Delir-Assoziationen von Medikamentenklassen nach dem GRADE-Approach eingestuft.
Resultate: Von 2246 gefundenen Studien wurden 14 Beobachtungsstudien in die Daten-synthese eingeschlossen. Die Studiensettings sind sehr heterogen und die Studien-populationen weisen ein mittleres Alter zwischen 60 und 85,5 Jahren auf. Moderates Evidenzniveau konnte nur für Polypharmazie und die Delirium Drug Scale (DDS) ermittelt werden. Niedrige Evidenzqualität liegt für Antidepressiva, Antiepileptika, die Listen der Potentially Inappropriate Medication und Delirium-Inducing Medication, Neuroleptika sowie chronischen Alkohol- und Nikotin-Abusus vor. Ein sehr niedriger Evidenzgrad ist für Anticholinergika, Benzodiazepine, Opioide, H1-Antihistaminika, Glukokortikoide, Myo-tonolytika, Beta-Blocker und Promethazin als Resultat dieses Reviews zu konstatieren.
Diskussion: In Zusammenschau der Ergebnisse dieses systematischen Reviews sowie der Studienlage davor können Polypharmazie und psychoaktive Arzneimittel als unabhängige Risikofaktoren festgestellt werden: Benzodiazepine – insbesondere Lorazepam – besitzen in höheren Dosierungen delirogenes Potenzial. Opioide – im Besonderen Pethidin – können zu einem 2- bis 9-fach erhöhten Risiko führen und 90mg Morphin-Äquivalent scheint eine kritische Dosis darzustellen. Ein suffizientes Schmerzmanagement ist dennoch vonnöten, da starker Schmerz per se delirogen sein kann. Die Evidenz für Anticholinergika, H1- und H2-Antihistaminika, Antidepressiva, Antiemetika, Glukokortikoide, Antiparkinson Medikamente, Antiepileptika, NSAR, Beta-Blocker, Myotonolytika und Promethazin ist gering und inkonsistent, sodass Unklarheit über das delirogene Potenzial jener Arzneimittel (-klassen) bestehen bleibt. Bis gesichertere Erkenntnisse vorliegen kann die DDS in der klinischen Prävention Abhilfe schaffen.