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Gewählte Publikation:

Kimeswenger, E.
Der Wunsch nach Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Die Entwicklung des öffentlichen Diskurses seit 1945 und die Rolle der Ärzteschaft.
[ Diplomarbeit ] Graz Medical University; 2012. pp. 137 [OPEN ACCESS]
FullText

 

Autor*innen der Med Uni Graz:
Betreuer*innen:
Stronegger Willibald
Altmetrics:

Abstract:
Die aktive Sterbehilfe wird in der breiten Öffentlichkeit in regelmäßigen Abständen sehr emotional diskutiert. Am Diskurs beteiligen sich u. a. Ärztevertretungen, Kirchen, politische Vertreter, Medien, Ethiker, Soziologen und nicht zuletzt Patientenvertretungen in Form von privaten Vereinigungen, die in unzähligen Stellungnahmen, Richtlinien und Empfehlungen ihre Standpunkte zum Thema Sterbehilfe darlegen. Befürworter und Gegner einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe vertreten dabei fundamental gegensätzliche Ansichten, obwohl häufig die gleichen Wertebegriffe für die Untermauerung der eigenen Argumentation verwendet werden, die jedoch von den Diskussionsteilnehmern in unterschiedlicher Weise gebraucht und ausgelegt werden. Neben Juristen und Sterbewilligen gehört vor allem die Ärzteschaft zu jener Gruppe der Diskussionsteilnehmer, auf deren Handlungen und Entscheidungen sich eine Reglementierung oder Nichtreglementierung, ein Verbot oder einer Legalisierung jedweder Sterbehilfehandlungen unmittelbar auswirken. Naturgemäß besteht daher großes Interesse der Ärzteschaft, die Wertvorstellungen innerhalb einer Gesellschaft und somit die rechtlichen Regelungen nach den eigenen Vorstellungen zu beeinflussen und mitzubestimmen. Um die Positionierungen zur aktiven Sterbehilfe zu überblicken, wurden richtungsweisende Stellungnahmen und berufsrechtliche Vorschriften (Berufsrecht, Richtlinien, Handlungsempfehlungen etc.) der Ärztevertretungen von der Nachkriegszeit bis heute dargestellt. Während sich die Haltungen der Ärzteschaft zur aktiven Sterbehilfe kaum verändert haben und deren Liberalisierung von den Ärztevertretungen bis heute abgelehnt wird, ist bei allen anderen Formen der Sterbehilfe eine beachtenswerte Entwicklung festzustellen: Von der in der Nachkriegszeit äußerst reservierten Haltung gegenüber jeglicher Form von Sterbehilfe wichen die Ärzte ab und bewegten sich hin zu einer weitgehenden Liberalisierungs-Befürwortung jener zum großen Kreis der passiven Sterbehilfe zählenden Handlungen bzw. Unterlassungen, und auch die Haltungen zur Mitwirkung am Suizid haben sich im betrachteten Zeitrahmen verändert. Im zeitlichen Verlauf lässt sich zudem feststellen, dass die Positionierungen der Ärzteschaft meist anlassbezogen erfolgten und damit Reaktion auf öffentlich diskutierte Sterbehilfefälle, Gesetzesinitiativen und -änderungen im eigenen Land und v. a. auch in Nachbarländern bildeten. Bei den passiven Formen der Sterbehilfe spielte ebenso die höchstrichterliche Rechtsfortbildung im eigenen Land sowie auf europäischer und internationaler Ebene eine entscheidende Rolle für die Positionierungen der Ärzteschaft. Bei einer Analyse der von Befürwortern einer Liberalisierung oftmals zitierten Meinungsumfragen so lässt sich feststellen, dass die Tendenz in der Bevölkerung, die aktive Sterbehilfe immer liberaler zu sehen, von der Ärzteschaft den offiziellen Stellungnahmen ihrer Berufs- und Standesvertretungen nicht nachvollzogen wird. Insgesamt entsteht daher das Bild, dass der Einfluss der Ärzteschaft auf die Entwicklung der gesellschaftlichen Meinungen eher untergeordnet ist. Auch wenn die aktive Sterbehilfe bis heute in den meisten Ländern verboten bleibt und man daher in diesem Rechtsbereich scheinbar die Ansichten der Liberalisierungsgegner nachvollzogen hat, lässt sich klar feststellen: Der Anteil der zulässigen Sterbehilfehandlungen an den gesamten Tatbeständen zum Thema Sterbehilfe wurde im Lauf der untersuchten Zeit immer größer und auch die aktive Sterbehilfe wurde durch immer liberalere Rechtsauslegung oder durch bspw. eine immer weniger konsequente Unterscheidung von aktiver und passiver Sterbehilfe in einem erstaunlich weiten Umfang liberalisiert. Insgesamt sind strafrechtliche und oder berufsrechtliche Konsequenzen für Ärzte und Nichtärzte bei allen Formen der Sterbehilfe sehr selten.

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